Obwohl es bereits verschiedene Informations- und Beratungsangebote gibt, die pflegende Angehörige Unterstützung bieten sollen, nehmen wenige pflegende Angehörige diese in Anspruch. Pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte profitieren noch deutlich weniger von diesen Unterstützungsangeboten. Wie können wir pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte besser informieren? Was wird gebraucht? Wie müssen Angebote aufgestellt sein, um pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte zu erreichen? Diese Fragen wurden bei einem Fachgespräch mit pflegenden Angehörigen mit Migrationsgeschichte und Expertinnen diskutiert.
Die Pflege eines Angehörigen geht mit Liebe und Fürsorge einher – aber ist auch mit Herausforderungen verbunden. Pflegende Angehörige dürfen mit ihren Problemen, Sorgen und Bedürfnissen nicht alleine gelassen werden. Auch pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte müssen Zugang zu Information und Beratung erhalten, das ist eine Frage der Teilhabegerechtigkeit.
Zwei pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte haben an unserem Fachgespräch teilgenommen und über ihre ganz persönliche Erfahrungen mit der Pflege ihrer Angehörigen berichtet. Während in einem Fall erst nach dreizehn Jahren bekannt wurde, dass es Anspruch auf Pflegegeld gibt und ein Antrag mit Hilfe der Nachbarin gestellt werden konnte, wurde in einem zweiten Fall deutlich, das die neue Pflegesituation schnell überfordert. Auch wenn das Angebot der Pflegestützpunkte bekannt war, so stellen neben sprachlichen Barrieren vor allem auch die Form der Ansprache eine Hürde dar.
Helena Miller, Interkulturelle Brückenbauerin in der Pflege, beschrieb, dass pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte oft nicht wissen, wohin sie sich wenden können oder sich nicht trauen, die bestehenden Angebote in Anspruch zu nehmen. Das Unwissen über Ansprüche auf Pflegegeld, Verhinderungspflege o.ä sowie sprachliche Barrieren müssten überbrückt werden. Doch auch wenn Betroffene gute deutsche Sprachkompetenzen haben, sind Informationen oft schwer verständlich aufbereitet.
Lamis Ghaddar, Interkulturelle Brückenbauerin in der Pflege, bestätigte, dass die Angebotsstruktur nicht ausreichend sei. Es bräuchte mehr kultursensible Angebote, um die Bedarfe abzudecken, sowie mehr einfache Informationen. Fachliche Informationen müssen ganz einfach aufbereitet werden und nicht „verhochdeutscht“ werden.
Güllü Kuzu, KOM-ZEN, erläuterte, dass es wichtig sei, dass auch von außen sichtbar sei, dass Angebote die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen mit Migrationsgeschichte berücksichtigen und stillen können. Auch wer gut Deutsch spreche, könne diese Kompetenzen beispielsweise im Falle einer Demenz wieder verlieren. Spezielle Einrichtungen nur für Menschen mit Migrationsgeschichte seien vor allem Symptom dessen, dass mit vorhandenen Angeboten die Ansprache dieser Personengruppe nicht gelinge. Interkulturelle Öffnung sei mehr als ein mehrsprachiges und multikulturelles Team, sondern müsse auch bei der Geschäftsführung oder Pflegedienstleitung beginnen. Neben einem Ausbau der Angebote für pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte, benötige es auch mehr Vernetzung und Kontaktpflege unter allen Hilfs- und Unterstützungsangeboten der Pflege.
Brigitte Bührlen, Vorsitzende bei WIR! Stiftung pflegender Angehörige, stellte die unterschiedlichen Bedürfnisse von pflegenden Angehörigen heraus. Gerade weil jede pflegende Angehörige mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sei, müsse man das Case-Management stärken. Eine Informationsflut sei nicht sinnvoll, Beratung müsse Schritt für Schritt und individuell erfolgen. Aufsuchende Beratung in den Sozialräumen sei wichtig, um pflegende Angehörige gut zu unterstützen.
Weitere Gäste beteiligten sich rege an der Diskussion, wie pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte in Berlin besser unterstützt werden können:
Wenn pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte besser informiert und beraten werden sollen, müssen alle zusammenarbeiten. Nicht nur die Mehrsprachigkeit und Kulturdiversität unter den Pflege- und Sozialberufen seien gefragt, sondern auch die Pflegestützpunkte, Behörden und Ämter, Pflegekassen und Schulen müssen dazu beitragen, auf die Bedürfnisse von pflegenden Angehörigen besser einzugehen. Die strukturelle Diskriminierung von Migrant*innen sei ein gravierendes Problem und erschwere den gleichberechtigten Zugang zu Hilfsangeboten bis heute. Neben den bereits bestehenden Strukturen braucht es vor allem aufsuchende Angebote, wie Lots*innen und Case-Manager*innen, oder auch Senior*innen-Cafés für Migrant*innen. Entscheidend sei aber auch die Vernetzung untereinander. Vertreter*innen aller fünf Kontinente müssten zusammenarbeiten, um allen pflegenden Angehörigen mit Migrationsgeschichte Unterstützung und Beratung zukommen zu lassen.
Das Fachgespräch diente auch als Vernetzungsplattform unter den Vertreter*innen verschiedener Communities und bestehender Angebote. Ein unmittelbarer Erfolg konnte schon vor Ort verzeichnet werden: eine Pflegekraft mit vietnamesischen Wurzeln möchte zukünftig die Brückenbauerinnen verstärken, um eine bessere Beratung von pflegenden Angehörigen mit vietnamesischen Wurzeln in Berlin zu ermöglichen.
Die Erkenntnisse aus dem Fachgespräch werden in die parlamentarische Arbeit von uns Grünen einfließen. Die grüne Fraktion setzt sich dafür ein, gleichberechtigt die Bedürfnisse von pflegenden Angehörigen mit und ohne Migrationsgeschichte in den Mittelpunkt rücken und Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige zu stärken.
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