Roadtrip durch die „Pflege“

Seit nunmehr zwei Jahren bin ich Sprecherin für Pflegepolitik und habe mich eingehend mit dem Thema „rund um Pflege“ beschäftigt und dazu Fachkräfte und Expert*innen aus dem Feld getroffen. Aber ist es nicht immer etwas anderes, selbst „vor Ort“ zu sein – dort wo Pflege geschieht? Und damit meine ich sowohl die stationären Einrichtungen und Krankenhäusern, als auch die Pflege zuhause in Unterstützung mit ambulanten Diensten. Um mit meiner politischen Arbeit den zunehmenden Schwierigkeiten, mit welchen Pflegekräfte konfrontiert sind, etwas entgegenzusetzen bin ich überzeugt davon, dass dies vor allem durch den direkten Kontakt und Gespräche vor Ort lebt. Aus dieser Überzeugung heraus entstand die Idee, selbst in verschiedenen Settings der Pflege zu hospitieren und so nicht nur, „am eigenen Leib“ kennen zu lernen, was es heißt in der „Pflege“ zu arbeiten, sondern auch mit den Pflegenden und Pflegebedürftigen an Ort und Stelle ins Gespräch zu kommen.

Da es für mich schwierig ist, im laufenden Parlamentsbetrieb ein oder mehrere Tage zu hospitieren, habe ich die Parlamentsferien dafür vorgesehen.  Begonnen habe ich deshalb am 23.10.18 mit der Hospitation in einem Pflegeheim auf einer Station speziell für Menschen mit einem demenziellen Syndrom.

Mein Weg führte mich also heute, zeitiger als sonst, um 6.45 Uhr aus dem Haus nach Kreuzberg. Empfangen wurde ich bereits freundlich vor dem Haus von einem Pfleger mit den Worten: „Sind Sie die Leasingkraft? (…) Oder von den Grünen?“

Gemeinsam mit den fünf Pflegekräften der Station saß ich dann um 7.30 Uhr bei der Übergabe des Nachtdienstes zum Frühdienst. Es war spannend für mich zu erfahren, was für Menschen in diesem Wohnbereich leben, aber auch, was in der Nacht geschehen ist und welche Informationen zum Schichtwechsel ausgetauscht wurden. Ziemlich rasch ging es für mich mit Alois, dem freundlichen Pfleger, welcher mich bereits am Eingang angesprochen hat, los um die ersten Bewohner*innen zu wecken und morgendlich zu versorgen. Dies hieß unterstützen bei der Körperpflege, assistieren beim Anziehen, aber auch die persönliche und emotionale Betreuung und Begleitung stellen einen großen Teil der Arbeit dar. Dabei wurde mir nochmal mehr bewusst, wie viel Empathie und Energie die Pflegenden aufbringen, um die Bewohner*innen in ihrem Alltag so unterstützen zu können, wie sie es jeden Tag tun. Denn alle Menschen in diesem Wohnbereich haben ein demenzielles Syndrom in unterschiedlichen Stadien. Dies führt zum Beispiel dazu, dass zwei ältere Menschen den ganzen Tag im Wohnbereich zusammen spazieren gehen oder eine andere Dame unzählige Male am Tag dasselbe französische Lied singt, welches der Pfleger immer wieder unterstützend mitsingt.

In dem Pflegeheim in Kreuzberg werden Menschen mit einem demenziellen Syndrom nach dem Erwin Böhm Modell versorgt. In Deutschland gelten heute etwa 1,5 Millionen Menschen als demenzkrank, wobei Alzheimer dabei die am häufigsten auftretende Form von Demenzerkrankungen darstellt.

Erwin Böhm ist ein Pflegewissenschaftler und hat das psychobiografische Pflegemodell entwickelt, um die Verhaltensweisen von desorientierten Menschen zu verstehen und zu erklären. Zielstellung dabei ist es, eine individuelle auf den Bewohner und seine Ressourcen abgestimmte Versorgung zu gewährleisten.

Interessant für mich war auch, dass, entgegen der sonst so oft zitierten Zahlen von sechs bis sieben Jahren Verweildauer im Pflegeberuf, alle Mitarbeiter*innen seit mindestens 15 Jahren nach ihrer Ausbildung in diesem Haus, die älteste sogar seit 46 Jahren, arbeiteten.

Es hat mich beeindruckt zu sehen, mit welchen Kompetenzen und theoretischem Wissen, als auch mit wie viel Empathie und Herzblut die Mitarbeitenden diesen anspruchsvollen Beruf ausführen und füllen.

Der Kontakt zu den Mitarbeiter*innen als auch zu den Menschen mit Pflegebedarf war heute von großer Wichtigkeit für mich, um das Gespräch zu suchen und mich vor Ort sowohl über die uns allen bekannten Schwierigkeiten, als auch über zukünftige Vorstellungen auszutauschen. Ich werde diese Erfahrungen und Bilder, die ich heute gesammelt habe, in meine politische Arbeit einfließen lassen und bedanke mich ganz herzlich für diesen Tag.

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