Am 06.12.2018 fand unser Fachgespräch, das ich gemeinsam mit Frau Pohl vom Paritätischen Wohlfahrtsverband veranstaltete, statt. Mit ihr und unseren Gästen diskutierten wir das Thema „Übergang Schule-Beruf. Welche Perspektiven haben Schüler*innen mit Behinderung“.
Erstmals ist es uns gelungen, für ein grünes Fachgespräch eine Gebärdensprachdolmetschung anzubieten – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit hier im Abgeordnetenhaus!
Unsere Gäste waren Vertreter*innen von Menschen mit Behinderung, Unternehmen und Beratungsstellen:
- Christine Braunert-Rümenapf, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung (https://www.berlin.de/sen/ias/beauftragte-und-einrichtungen/landesbeauftragte-fuer-menschen-mit-behinderung/)
- Sandra Theede, IHK (https://www.ihk-berlin.de/politische-positionen-und-statistiken_channel/arbeitsmarkt_beschaeftigung/bildungspolitik/schulpolitik-und-berufsorientierung/3802974)
- Stefan Schenck, Vater von Oskar Schenck (https://www.spendenberatung.de/startseite.html)
- Susanne Marx-Mücke, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Jugendberufsagentur
Im Gespräch wurde schnell deutlich, dass junge Menschen mit Behinderung bei dem Übergang von der Schule in den Beruf strukturellen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Dabei geht es hier doch um ein Menschenrecht, wie Christine Braunert-Rümenapf betonte: Laut Artikel 12 des Grundgesetzes haben alle Menschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_12.html) . Dass das in der Realität ganz anders aussieht, wurde in der Runde von allen Seiten bestätigt. Hier gibt es viel zu tun, denn nur die wenigsten jungen Menschen mit Behinderung haben die Möglichkeit, nach der Schule einen Weg auf dem ersten Arbeitsmarkt einzuschlagen.
Stefan Schenck erzählte dazu von den Erfahrungen mit seinem Sohn Oskar und dem langen Kampf um eine Ausbildungsstätte auf dem ersten Arbeitsmarkt. Oskar lebt mit dem Down-Syndrom und ist einer der wenigen jungen Menschen mit geistiger Behinderung, die mit Hilfe des Budgets für Arbeit für den Berufsbildungsbereich einen Ausbildungsweg unabhängig der Werkstätten für Menschen Behinderung einschlagen kann: Nach verschiedenen Praktika ist er nun im Bereich der Schulsozialarbeit der Heinz-Brandt-Schule in Weißensee (https://www.heinz-brandt-schule.de) angestellt . Unterstützt wird die Familie hierbei von BIS e.V. (https://bisev-berlin.de/) . Herr Schenck appelliert in diesem Zusammenhang daran, dass der Begriff der Ausbildung weiter gefasst werden muss, um so für möglichst viele Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen eine Form der Ausbildung zu ermöglichen.
Verschiedene Gäste machten deutlich, dass es bereits einige Möglichkeiten gibt, auch mit einer Behinderung eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu absolvieren. Laut Heide Berger von „Sinneswandel – Förderung gehörloser und hörgeschädigter Menschen“ (https://www.sinneswandel-berlin.de) scheitert es jedoch an der Umsetzung, da es in unserem aktuellen System an inklusiven Strukturen fehlt. Dies scheint allgemein ein Punkt zu sein, den viele Gäste kritisieren:
- Es fehlt an Beratung, die sich an den Ressourcen und Bedürfnissen des Individuums orientiert.
- Es fehlt an Barrierefreiheit, sowohl in der Berufsorientierung, als auch in der Berufsberatung, als auch an den einzelnen Arbeitsplätzen.
- Es fehlt an Präsenz des Themas in der Öffentlichkeit.
- Es fehlt an Informationen für alle Beteiligten: für die Jugendlichen selbst, ihre Familien, die Lehrer*innen und die Arbeitgeber*innen.
Und – ein Punkt, der vielen Gästen besonders wichtig war – es fehlt an Möglichkeiten für die jungen Menschen mit Behinderung, sich auszuprobieren, wie alle anderen Jugendlichen auch.
Um das zu ermöglichen und inklusive Strukturen auf dem Ausbildungsmarkt zu schaffen, ist im Laufe des Abends eine lange Liste an Forderungen entstanden:
- Auf ein inklusives Schulsystem muss ein inklusiver Arbeitsmarkt folgen!
- In Berlin sind 25.000 Menschen mit Behinderung in Schulausbildung. Diese Zahl ist relativ konstant und es müssen Möglichkeiten sowie Ausbildungsplätze für diese Kinder und Jugendlichen geschaffen werden.
- Für diejenigen, die am Ende der Schulzeit noch nicht bereit sind, eine Ausbildung zu beginnen, braucht es einen geeigneten Ort der Überbrückung. Es kann nicht sein, dass all diese Menschen in Werkstätten arbeiten und dann den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt nicht mehr schaffen.
- Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung müssen durchlässiger werden für den ersten Arbeitsmarkt.
- Beratungsstellen müssen Barrieren abbauen! Es braucht barrierefreie Beratungsangebote und Möglichkeiten der Antragsstellung. Vor allem die Jugendberufsagentur, aber auch die Reha-Beratung der Arbeitsagentur für Arbeit müssen inklusiver werden und sich an den Ressourcen und Bedürfnissen der einzelnen Menschen orientieren. Außerdem braucht es diskriminierungsfreie Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst und in der freien Wirtschaft.
- Assistenzleistungen müssen dringend ausgebaut werden. Nur so kann es den jungen Menschen ermöglicht werden, Vorerfahrungen in Praktika zu sammeln und eine Ausbildung ihrer Wahl zu absolvieren.
- Arbeitgeber*innen müssen besser beraten und unterstützt werden. Hier ist ein konkretes Programm notwendig, um alle Betriebe Berlins durchlässiger werden zu lassen und die Vielfalt Berlins abzubilden
- Die Vielfalt der Menschen muss sich auch in der Vielfalt der Unterstützungsangebote widerspiegeln. Schließlich haben beispielsweise Menschen mit einem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ganz andere Bedarfe als Menschen, die gehörlos sind. Hier ist ein differenziertes Unterstützungs- und Beratungssystem notwendig.
Die Liste ließe sich bestimmt noch fortführen und macht deutlich, wie groß der Handlungsbedarf bei diesem Thema ist. Die Erkenntnisse aus dem Fachgespräch werden in die parlamentarische Arbeit von uns Grünen einfließen. Die grüne Fraktion setzt sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein, auch und gerade im Bereich Ausbildung und Arbeit.
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