Alle Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe zu Safe Places machen

Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir Berlinerinnen und Berliner Obdachlosen nicht begegnen. Wir sehen sie vor Supermärkten, auf der Parkbank oder in der Bahn die motz oder den Karuna Kompass verkaufen. Ob ihre Anzahl zugenommen hat oder nur unserer erhöhten Sensibilität für Obdachlose geschuldet ist, wird die geplante Zählung von Obdachlosen in der zweiten Jahreshälfte zeigen. Tatsache ist aber, dass wir Berliner*innen durch die täglichen Schreckensmeldungen eines aus den Fugen geratenen Wohnungsmarktes für die Lebenssituation Obdachloser sensibilisierter sind als zuvor, denn viele von uns haben Angst, selbst eines Tages auf der Straße zu landen, wenn wir die Preissteigerungen im Berliner Immobilienmonopoly nicht mehr bezahlen können.

Obdachlosigkeit ist keine neue Erscheinung, da hat Elke Breitenbach recht. Über Jahre wurde in Berlin viel zu wenig von den Vorgängersenaten getan, um ihre Lebenssituation nachhaltig zu verbessern und die Wohnungslosenhilfe entsprechend auszurichten. Das heißt, alle Hilfen für Obdachlose gezielt so auszurichten, dass diese Obdachlosigkeit zu überwinden und nicht nur von Winter zu Winter Obdachlosigkeit verwalten.

In der letzten Zeit kam es wiederholt zu Räumungen von Obdachlosen durch die bezirklichen Ordnungsämter (diese finden weiterhin in allen Bezirken statt), was zu einem Aufschrei in der Stadtgesellschaft geführt hat (auch von mir). Es genügt aber nicht, sich über Räumungen zu echauffieren, aber keine Alternativen für Obdachlose anzubieten. Obdachlosigkeit ist Ausdruck extremer Armut und oft auch Hilfebedürftigkeit. Nur in den allerwenigsten Fällen schlafen Menschen aus Abenteuerlust freiwillig in Zelten in unseren Parks. Die rot-rot-grüne Koalition hat mit dem letzten Doppelhaushalt die Mittel für die Wohnungslosenhilfe fast verdoppelt. Damit sind wir einen wichtigen Schritt gegangen, um das Hilfesystem (Bahnhofsmissionen, Kältehilfeplätze, aufsuchende Sozialarbeit etc.) für Obdachlose auszubauen.

Dennoch leben immer noch zu viele Obdachlose auf unseren Straßen. Elke Breitenbach schrieb hierzu in der Berliner Zeitung, ein Teil der auf der Straße lebenden Obdachlosen würde das bestehende Hilfeangebot nicht annehmen wollen und begründet hiermit die Notwendigkeit nach Übergangsmöglichkeiten wie Zeltplätzen als „Safe Places“ für obdachlose Menschen. Dies unterstellt, dass Obdachlose in ihrer Notsituation die Möglichkeit hätten, frei und selbstbestimmt zwischen verschiedenen Hilfeangeboten zu wählen und diese abzulehnen und es ausschließlich einer längeren Zeit bedürfe, sie von den Vorzügen der bestehenden Angebote der Wohnungslosenhilfe zu überzeugen.

Damit jedoch Hilfen angenommen werden, genügt es nicht, Obdachlose bis zu sechs Monate in Zeltplätzen „zwischenzuparken“. Stattdessen müssen die Angebote der Wohnungslosenhilfe stärker an den Bedürfnissen von Obdachlosen ausgerichtet werden. Auf der Straße lebende Obdachlose lehnen die vorhandenen Hilfen z.T. nicht deshalb ab, weil sie keine Hilfe wollen, sondern weil die Hilfen, die ihnen derzeit angeboten werden, an ihren Bedürfnissen vorbei gehen: Alkohol- und Drogenverbote, Hundeverbot, keine Privatsphäre in der Kältehilfe, keine Unterkünfte für obdachlose Paare, zu wenig barrierefreien Unterkünfte, fehlende Schnittstelle zum sozialpsychiatrischen Hilfesystem, keine Angebote für Pflegebedürftige, kein Hospiz usw. sind nur einige von vielen Ausschlusskriterien, warum Obdachlose notgedrungen auf der Straße bleiben müssen anstatt die Angebote der Wohnungslosenhilfe aufzusuchen. Diese Verbotskultur ist nicht mehr zeitgemäß!

Für mich ist deshalb klar: Wenn wir wollen, dass mehr Obdachlose durch die Wohnungslosenhilfe Unterstützung erfahren sollen, um von der Straße wegzukommen, müssen alle Einrichtungen der Wohnungnotfallhilfe zu Safe Places werden. Dafür müssen die Angebote konsequenter an den Bedürfnissen der Obdachlosen ausgerichtet und wenn nötig ergänzt werden. Nicht der Mensch muss ins Hilfesystem passen, sondern das Hilfesystem zum Menschen. Wir brauchen dafür mehr sozialpsychiatrische Angebote in der Wohnungslosenhilfe, Unterkünfte, in denen unter Aufsicht Alkohol bzw. Drogen konsumiert werden dürfen, Hilfsangebote für pflegebedürftige Obdachlose und Unterkünfte, in denen Obdachlose sich ausruhen können und Privatsphäre möglich ist. Auch müssen die Öffnungszeiten der Wohnunglosentagesstätten ausgeweitet werden, denn wer morgens um 8 aus der Kältehilfe kommt, muss meistens Stunden auf der Straße verbringen, ehe die Wohnungslosentagesstätten ihre Pforten öffnen.

Auch benötigen wir eine stärkere Einbeziehung der Obdachlosen in die Ausrichtung der Wohnungslosenhilfe. Die Grünen in Mitte schlagen vor, Obdachlose zu befragen, warum einige von ihnen die Angebote der Wohnungslosenhilfe ablehnen. Ich unterstütze dies, denn mit den Befragungsergebnissen können wir Hilfen zielgerichteter ausrichten. Eine entsprechende jährlich wiederkehrende Befragung wäre auch für Berlin sinnvoll.

Schließlich schreibt Elke Breitenbach, es fehle eine gesamtstädtische Strategie zum Umgang mit Wohnungslosigkeit. Die Senatsverwaltung für Soziales hat jedoch zwei Strategiekonferenzen mit zahlreichen Akteur*innen aus der Wohnungslosenhilfe durchgeführt, um genau diese Strategie zu entwickeln. Die konkreten Vorschläge für eine gesamtstädtische Strategie – die neuen Leitlinien zur Wohnungsnotfallhilfe – liegen auf dem Tisch. Ich erwarte, dass sich der Senat die Ergebnisse der Strategiekonferenzen zu eigen macht und umsetzt, damit obdachlose Menschen in Zukunft bessere Hilfen erhalten. Mit Vorlage des kommenden Haushaltsentwurf muss dafür die Grundlage geschaffen werden. Wir haben daher kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.

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