Rede im Parlament zum Berliner Teilhabegesetz

Am 12.09.2019 wurde das Berliner Teilhabegesetz beschlossen. Hier meine Rede dazu:

Sehr geehrte Frau Präsidentin/Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Gäste,

Alle Menschen mit Behinderung haben das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe!

Mehr als ein Jahr Arbeit steckt in der Ausarbeitung des Berliner Teilhabe Gesetzes. Dem hier vorliegenden Gesetzesentwurf gehen unzählige Gespräche, Diskussionen und Debatten voraus: mit der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, aber auch mit zahlreichen Trägern, Verbänden und Betroffenen.

Gemeinsam haben wir überlegt, wie wir den Menschen mit Behinderung die größtmögliche Teilhabe ermöglichen können. Und jetzt sind wir auf der Zielgeraden!

Das vorliegende Gesetz ist das Ergebnis dieser intensiven Bemühungen – und dafür möchte ich als allererstes DANKE sagen!

Gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist leider immer noch nicht selbstverständlich, auch hier in Berlin nicht! Die Hilfestrukturen sind unübersichtlich: noch immer ist es eine große Herausforderung, sich im Dschungel der Leistungen und deren Finanzierungen zurechtzufinden. Mit dem Bundesteilhabegesetz soll der Zugang zu den im Einzelfall benötigten Leistungen vereinfacht und beschleunigt werden. Der Mensch soll mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Teilhabe stärken! – unter diesem Motto steht die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes hier in Berlin. Teilhabe stärken – eine Mammutaufgabe, die wir uns als Land Berlin vorgenommen haben, für die wir auf politischer Ebene kämpfen und für die sich jede und jeder Einzelne tagtäglich einsetzen sollte.

Wir als Koalition haben uns Inklusion zur Leitlinie gemacht! Daher wollen wir mit dem neuen Gesetz nicht einfach die Sozialämter umetikettieren und ihnen einen neuen Titel geben, ohne tatsächlich etwas zu verändern. Diesen Weg gehen ja andere Bundesländer… Uns aber geht es nicht um den Namen des Amtes oder des Gesetzes, sondern um die Sache, um die Menschen! Wir wollen Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen stärken, und dafür ist das vorliegende Gesetz ein wichtiger erster Schritt.

Um dieses Ziel zu erreichen, stehen wichtige strukturelle Veränderungen an:

  1. Die Eingliederungshilfe wird aus der Sozialhilfe herausgelöst und ein neuer Träger der Eingliederungshilfe geschaffen. In sog. „Häusern der Teilhabe“ soll in Zukunft Hilfe wie aus einer Hand gewährleistet werden. Ziel ist eine verbesserte Kommunikation und Kooperation und neue fachliche Standards. Wenn das gelingt, werden die Häuser zu einem Ort der Vernetzung und damit zu einer tatsächlichen Bereicherung für die Menschen mit Behinderung.
  2. Was mir besonders wichtig ist: Erstmals wird bei der Eingliederungshilfe die Dimension des Sozialraums berücksichtigt! Diese Sozialraumorientierung soll Menschen zu einem möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben befähigen und sie in ihrer individuellen Lebensplanung und -gestaltung stärken. Eine Lebensgestaltung, die nicht durch äußere Zwänge und Barrieren eingeschränkt wird, sondern von den persönlichen Wünschen und Zielen der einzelnen Menschen geprägt ist.
  3. Mit den neuen Häusern der Teilhabe haben wir uns einiges vorgenommen. Hier stehen wir vor einer der größten Herausforderungen bei der Umsetzung des BTHG: Multiprofessionalität und Personenzentrierung sind elementare Aspekte, die jedoch mit Leben gefüllt werden müssen. Die Eingliederungshilfe soll zukünftig nicht wie bisher hauptsächlich von Dienstkräften mit Verwaltungsabschluss umgesetzt werden, sondern von einem multiprofessionellen Team. Dazu gehören Kompetenzen aus dem sozialpädagogischen, heilpädagogischen und pflegerischen Bereich. Hierfür brauchen wir ausreichend Fachpersonal, Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen. Denn nur so kann eine Umsetzung der neuen Rechtsgrundlage in die Praxis gelingen! Auf dieses Thema werden auch wir als grüne Fraktion in den nächsten zwei Jahren ein besonderes Augenmerk haben.
  4. Besonders wichtig ist mir außerdem die Partizipation der betroffenen Menschen und ihren Angehörigen: Wir möchten nicht über die Menschen sprechen, sondern mit ihnen! Dafür ist der Teilhabebeirat ein wichtiges Element des ganzen Prozesses rund um das BTHG. Die neuen Strukturen bringen auch für die vielen engagierten Menschen in den Beiräten, Gremien und Interessenvertretungen neue Aufgaben. Hier werden wir uns für entsprechende Rahmenbedingungen einsetzen, so dass Partizipation auch mit den neuen Anforderungen gut gelingen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Solche bedeutenden rechtlichen und in Folge dessen auch strukturellen Änderungen bringen viel Verunsicherung mit sich. Sowohl bei den Trägern und Leistungserbringern, als auch in der Verwaltung und natürlich bei den Betroffenen und ihren Angehörigen.

Welche Auswirkungen wird das neue BTHG auf mein Leben haben? Kann ich meine gewohnten Ansprechpartner*innen behalten? Wie können wir die Arbeit nach den neuen Vorgaben stemmen?

Fragen wie diese zeigen uns, dass viele Betroffene, aber auch Eltern von betroffenen Kindern, und auch Träger zutiefst verunsichert sind – und diese Sorge nehmen wir sehr ernst! Ich kann diese Sorgen verstehen und will auch nicht schön reden, dass neue Gesetze eine gewisse Erprobungszeit benötigen. Gerade Gesetze wie dieses, das mit der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe eine solch große rechtliche Veränderung darstellt und in der Umsetzung weitreichende Auswirkungen und Änderungen in der Praxis hat.

Doch die anstehenden Veränderungen sind wichtig und längst überfällig: im BTHG wurde auf Bundesebene 2016 zusammengeführt, was in den sozialpolitischen und fachlichen Diskursen seit Jahren vorgedacht wurde. Jetzt liegt es an uns, diese ideellen und rechtlichen Grundlagen hier in Berlin so in die Praxis umzusetzen, dass sie einen tatsächlichen Mehrwert für Menschen mit Behinderung darstellen.

Denn das ist das gemeinsame Ziel aller Beteiligten – nämlich eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen für Menschen mit Einschränkungen. Und ich bin immer wieder beeindruckt und dankbar zu sehen, dass in Berlin viele Menschen gibt, die jeden Tag hart daran arbeiten, dieses gemeinsame Ziel zu erreichen.

Die anstehenden Veränderungen kommen natürlich nicht von heute auf morgen. Das Gesetz soll zum 01.01.2020 in Kraft treten und wir sind bereits jetzt im intensiven Austausch mit den Bezirken, den Jugendpolitiker*innen und den Gesundheitspolitiker*innen.

Die Häuser der Teilhabe werden erst im Laufe der nächsten zwei Jahre eingerichtet. Schon jetzt sind wir dabei, diese Prozesse intensiv vorzubereiten und zu klären, wie die neuen Aufgaben gut umgesetzt und gestemmt werden können. Wir wollen die betroffenen Menschen auf keinen Fall mit ihren Sorgen und ihrer Verunsicherung alleine lassen! Die Senatsverwaltung hat daher Anfang August alle erwachsenen Bezieher*innen von Eingliederungshilfe per Post über die Neuerungen im Bundesteilhabegesetz informiert, auch in leichter Sprache.

Und auch wir werden weiter im engen Dialog bleiben, mit den betroffenen Menschen, aber auch mit den Trägern der Eingliederungshilfe. Nur so können wir uns gemeinsam auf den Weg machen und das Bundesteilhabegesetz in Berlin so umsetzen, dass es tatsächlich im Sinne der Menschen mit Handicaps ist.

Vielen Dank!

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